Prometheus und die Folgen

In Europas Geschichtsschreibung wimmelt es nur so von Helden und Genies, von kühnen Charakteren, die sich einsam in das Rad der Geschichte werfen und dabei die Götter herausfordern. Das drückt eine etwas selbstgefällige Art der Geschichtsschreibung aus.

Juli 1934: Bildhauerin Nína Sæmundsson arbeitet an einem Tonmodell für eine Prometheus-Statue. (Foto: Los Angeles Times, CC BY 4.0)

Juli 1934: Bildhauerin Nína Sæmundsson arbeitet an einem Tonmodell für eine Prometheus-Statue. (Foto: Los Angeles Times, CC BY 4.0)

In Europas Geschichtsschreibung wimmelt es nur so von Helden und Genies, von kühnen Charakteren, die sich einsam in das Rad der Geschichte werfen und dabei die Götter herausfordern. Das drückt eine etwas selbstgefällige Art der Geschichtsschreibung aus.

Aber es entspricht auch europäischer Kultur, daß Mythen mit ganz unterschiedlichen Deutungen weitererzählt werden. Prometheus, einer unserer populärsten Titanen, ist ein vorzügliches Beispiel dafür. Seine Kontroverse mit dem Göttervater Zeus und sein Einstehen für die Menschen wurde in der Antike keineswegs einhellig gedeutet und dargestellt.

Das reicht bis in die Gegenwart, da nicht nur er, sondern auch die ebenso beliebte Figur des Ikarus äußerst gegensätzlich geschildert wird. In genau diesen Aspekten berühren sich hier nun zwei Projekte. Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov setzt mit „Geteilte (in)Kompetenzen“ einen Akzent im Rahmen des Grazer Kulturjahres 2020.

Als Ingenieurin der Elektrotechnik steht sie hautberuflich eher im prometheischen Lager. Autor Martin Krusche sieht sich selbst als „Ikarier“. Er geht mit „Prometheus in Ketten“ einigen etablierten Narrativen nach und überprüft gegenwärtige Entwicklungen auf Elemente alter Erzählungen.

An der Schnittstelle dieser beiden Projekte begleitet Krusche Selakovs Projekt als Chronist und Erzähler. Diese Chronik hat keinen Selbstzweck, sondern bereitet jenes Feld, auf dem erbrachte Zwischenergebnisse und neue Fragen in die Zeit nach 2020 führen.

Peitler-Selakov hat ihrerseits eine Zone konzeptionell ähnlich angelegt, wonach schon im laufenden Jahr solche Optionen Vorrang haben. Zitat: „Einige Plätze auf grünen Flächen in der Stadt (Stadtpark, Metahofpark, Augarten) werden als ‚kleine Forschungszentren mit gemeinsamer Inkompetenz‘ bezeichnet, Räume, freibegeben für alle. In solchen Räumen wird weniger auf akademische Methoden und Disziplinen Wert gelegt, als auf Anliegen, Beobachtungen, Fähigkeiten, Neugierde, Selbstreflexion, Verwirrung und Ungewissheit.“

Das ist eine bemerkenswerte Option für eine Technikerin, deren Brotberuf verlangt, daß sie bei äußerst komplexen Entwicklungen Bereiche wie „funktionale Sicherheit“ („functional safety“) bearbeitet, also genau jene Effekt-Zonen, in denen uns Menschen durch Maschinensysteme laufend „prometheische Scham“ droht, wie das Philosoph Günther Anders nannte.

Salopp formuliert: Wir haben so unsere Probleme, wenn uns Werkzeuge, die wir geschaffen haben, übertreffen. Manchmal wird das auch sehr bedrohlich, wie es etwa Goethe in „Der Zauberlehrling“ beschrieb.

Da wir uns neuerdings in einem zweiten Maschinenzeitalter befinden, von selbstlernenden Systemen umgeben sind und stellenweise Apparate benutzen, an denen uns keineswegs alle Funktionen und Problemquellen völlig klar sind, lohnt es sich, höchst verschiedene Kompetenzen zu bündeln, um einigen gravierenden Fragen nachzugehen; oder um herauszuarbeiten, was denn nun überhaupt vorrangige Fragen seien.

+) Krusches komplementäres Projekt